Aminas Welt, Gerwine Bayo-Martins - UniScripta Verlag, edition ullrich

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Aminas Welt, Gerwine Bayo-Martins

Leseproben

Inhalt

1632. Wir schreiben die Zeit des 30-jährigen Krieges. Seligenstadt am Main und das nahe gelegene Hörstein sind verwüstet von den Truppen Gustav Adolfs, des Schwedenkönigs.  Hier dient die schöne Amina nach ihrer Flucht aus dem Osmanischen Reich quer durch Europa im Herrenhaus der von Edens.  
Aber nachdem dort ein Mord geschieht, muss die junge Frau wieder fliehen; diesmal vor den Häschern der Kirche, die unschuldige Frauen der Hexerei anklagen ...

Leseprobe

Die wenigen Frauen, die nach Hause eilen, tragen graue, oft zerrissene Kleidung. Verhärmte Gesichter mit eingefallenen Augen schauen unter den Hauben hervor. Hinter ihnen stolpern magere Kinder in Lumpen.  Was soll ich bloß machen? überlegt sie jetzt, mich gleich den Mönchen zu erkennen geben? Die waren immer freundlich zu uns, wenn wir sie aufsuchten. Hoffentlich erinnern sie sich an mich, jetzt, wo ich als Junge erscheine. Sie greift sich an ihr kurzes Haar, blickt sich wieder um. Eine bleierne Stimmung liegt über  der kleinen Stadt. Sie schaudert, Unrat überall, streunende Hunde mit eingekniffenem Schwanz auf der Suche nach etwas zu beißen. Der Turm an der Stadtbefestigung erscheint ihr drohend und abweisend. Sie blickt hoch, niemand scheint hinter den Sehschlitzen zu sitzen.
„Wohin, Junge?", hört sie in diesem Augenblick und zuckt leicht zusammen. Pass auf, Amina, ermahnt sie sich, lass dir deine Angst nicht anmerken. Da steht ein kräftiger dunkelhaariger Wächter wie aus dem Boden gewachsen plötzlich vor ihr, reckt drohend die Hellebarde und blickt sie unter buschigen Augenbrauen forschend an.
Auch das noch, was sage ich jetzt bloß? An die Wächter habe ich gar nicht mehr gedacht.
"Ich bin auf der Durchreise nach Mainz, will nur eine kurze Rast hier halten", erwidert sie.
„Und wo?"
„Bei der Buchhändlerin im französischen Viertel."
„Bist auch einer von den Flüchtlingen aus dem Frankenland?"
Sie antwortet nicht.
„Na, wird’s bald, antworte! Woher kommst?"
„Ach, wisst Ihr, ich habe meine kranke Muhme besucht in Mühlheim, bin jetzt auf der Rückreise."
Sie wartet ab, was er sagt. Er starrt sie an, sie starrt zurück, das kann sie ja, jetzt als Junge, da muss sie nicht züchtig tun wie die Mädchen und Frauen, oh, Gott sei Dank, er fragt nicht weiter, macht eine Handbewegung, dass sie hineingehen kann.
„Danke, Herr",  murmelt sie und eilt voran. Bloß schnell weg hier. Vor der Kirche hält sie kurz inne. Eine Frau mit Körben kommt ihr entgegen, sie nickt zum Gruß. Die Frau blickt ihr nach, wer mag das so spät noch sein? Fremde erkennt man gleich. Man kennt sich untereinander. Der Weg ist glitschig, feuchter Kehricht überall, dazwischen kantige Steine zur Befestigung in den morastigen Untergrund gehauen.  Sie geht vorsichtig weiter an der Mauer entlang, schaut aus den Augenwinkeln, ob jemand sie sieht, bleibt vor dem schweren braunen Tor stehen, es ist verschlossen, wie immer. Sie reckt die Schultern nach hinten, hebt den Kopf ein wenig, nicht zu viel, eine Mischung von Furchtlosigkeit und Demut ist angebracht, schaut durch  die dunklen schmalen Schlitze im Wächterhäuschen, erkennt nichts, nimmt allen  Mut  zusammen und klopft. Wartet. Nichts. Endlich öffnet sich eine Klappe im Häuschen, ein runder Kopf mit Tonsur erscheint, braune Augen in einem jungen Gesicht blicken sie an. Amina bringt ihr Gesicht näher an die Schlitze und flüstert:
"Bitte öffnet, lasst mich ein, ich bin in Not, kennt Ihr mich noch, ich bin Amina, die immer mit Kräutergrete herkam, früher." Huscht ein Erkennen über sein Gesicht? Sein Mund öffnet und schließt sich gleich wieder, dann fragte er ungläubig:
"Amina? Kräutergrete? Ich habe gehört, dass Kräutergrete gestorben ist. Wie kommst du hierher?"
„Bitte, lasst mich ein, bitte", fleht sie, „dann erzähle ich Euch alles."
Die Klappe schließt sich, ein Schlüssel dreht sich, sie schlüpft durch den schmalen Durchlass in den Klosterhof.

 
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